Am 9. April 2023 jährt sich zum neunzigsten Mal die Unterzeichnung der „Stuttgarter Erklärung“, in deren Folge jüdische Mitglieder aus den deutschen Fußballvereinen ausgeschlossen wurden. Die Stuttgarter Kickers waren am 9. April 1933 turnusmäßiger Gastgeber eines Verbandstages des süddeutschen Fußball- und Leichtathletikverbandes, bei dem ursprünglich der Modus der anstehenden Endrunde um die süddeutsche Fußballmeisterschaft und Planungen des DFB zur Einführung des Berufsfußballs besprochen werden sollten. Von den 16 eingeladenen süddeutschen Spitzenvereinen, alle Teilnehmende der Endrunde, hatten 14 Vertreter nach Stuttgart entsandt, neben den gastgebenden Stuttgarter Kickers u.a. die Vereine aus Nürnberg, Fürth, Frankfurt, München und Karlsruhe. Am 30. Januar 1933 hatten die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übernommen. Nur zwei Tage vor dem Verbandstag, am 7. April 1933, wurde das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erlassen, mit dem jüdische und politisch unliebsame Menschen aus dem Staatsdienst gedrängt werden sollten. Grund genug für die anwesenden Vereine, die ursprüngliche Agenda des Verbandstages zu streichen und sich stattdessen der Frage zu widmen, wie sich der süddeutsche Fußball zu dieser Entwicklung verhalten solle. Heraus kam ein Paradebeispiel vorauseilend-opportunistischen Gehorsams, dem sich nur wenige Zeit später auch der gesamte Deutsche Fußball-Bund anschloss und in dessen Folge insbesondere die jüdischen Mitglieder aus den Fußballvereinen ausgeschlossen wurden. Bei den Stuttgarter Kickers betraf dies verdienstvolle Mitglieder wie die Funktionäre und Mäzene Hugo Nathan und Ferdinand Hanauer, den Erfolgstrainer Fritz Kerr oder den Schiedsrichter und Jugendtrainer Julius Baumann. Letztgenannter wurde 1942 nach Mauthausen deportiert und dort ermordet. Bereits in ihrem 2019 vom DFB mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichneten Erinnerungsprojekt „Heimat Kickers – Die Blauen in bewegten Zeiten“ hatte sich das Kickers Fanprojekt mit der Stuttgarter Erklärung auseinandergesetzt. Schon damals bewegte die Projektgruppe die Frage, welche Rolle die Stuttgarter Kickers am 9. April 1933 tatsächlich gespielt hatten – waren sie nur zufälliger Gastgeber oder vielleicht doch eine treibende Kraft hinter der Resolution? Die Ergebnisse der Recherche lassen weiterhin keine 100%ige Aussage zu, deuten aber darauf hin, dass eher Letzteres der Fall gewesen sein dürfte. Gestützt wird diese Einschätzung durch Artikel aus Vereinsnachrichten der Stuttgarter Kickers aus den späten 20er Jahren, die dem Verein aus der „Sammlung Berg“ zur Verfügung gestellt wurden und die bei der Recherche ausgewertet wurden. „Die Stuttgarter Kickers waren ganz bestimmt kein ‚strammer Nazi-Verein‘, standen damals aber auch in keinerlei Opposition zu den neuen Machthabern. Im Gegenteil, es konnte ihnen leider nicht schnell genug gehen, die Beschlüsse der Stuttgarter Erklärung rigoros umzusetzen und sich so den neuen Machthabern in opportunistischer Weise anzudienen.“, so Daniel Metz, Mitarbeiter des Kickers Fanprojektes. „Umso wichtiger ist es aber, dass sich der Verein seiner Geschichte bewusst ist und diese ohne Relativierung anerkennt mit der Konsequenz sich heute und in Zukunft klar gegen Diskriminierung, Rassismus, Homophobie und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu positionieren“, so Metz weiter. Die Recherchearbeiten sind in einem Booklet dokumentiert, das zum 90. Jahrestag der Stuttgarter Erklärung am 9. April 2023 online auf der Website des Kickers Fanprojektes (https://kickers-fanprojekt.de) und auf der Projekt-Website von „Heimat Kickers“ (https://heimat-kickers.de) als Download abrufbar sein wird. Außerdem wird es eine gedruckte Auflage geben, die bei Veranstaltungen des Fanprojektes oder auf Anfrage kostenlos zu erhalten sein wird. Stuttgart, 03. April 2023 |
Das Booklet finden Sie hier: